Neujahrskonzert 2021: La Dolce Vita

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La dolce vita

Neujahrskonzert 2021


Neujahrskonzert 2021

La dolce vita

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Mo 1. Jan 2021, 20 Uhr Streaming aus der Oper Graz & Liveübertragung auf Radio Steiermark

Musikalische Leitung Roland Kluttig Tenor Piotr Buszewski Flöte Vanessa Latzko Oboe Kamen Nikolov Moderation Gerhard Hafner Grazer Philharmoniker Streaming Roland Renner/reziprok

Programm

Peter Iljitsch Tschaikowski (1840–1893) „Capriccio italien“, op. 45 (1880) Jules Demersseman (1833–1866) | Arrangement von Christo Pavlov „Duo brillant“ für Flöte, Oboe und Orchester über Motive aus der Oper „Guillaume Tell“ von Gioachino Rossini (1792–1868) Vanessa Latzko & Kamen Nikolov Amilcare Ponchielli (1834–1886) „Tanz der Stunden“ aus der Oper „La Gioconda“ (1876)


Vincenzo D’Annibale (1894–1950) | Arrangement von Giancarlo Caramello Text von Libero Bovio (1883–1942) „O paese d’ ’o sole“ (1925) Piotr Buszewski Pietro Mascagni (1863–1945) „Intermezzo sinfonico“ aus der Oper „Cavalleria rusticana“ (1890) Stanislao Gastaldon (1861–1939) „Musica proibita“, op. 5 (1881) Piotr Buszewski Nino Rota (1911–1979) „Walzer“ aus dem Film „Der Pate“ (1972)

„Liebesthema“ aus dem Film „Der Pate“ (1972)

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„Albergo di prima categoria“ aus der Oper „La notte di un ­nevrastenico“ („Die Nacht eines Neurasthenikers“) (1959) Piotr Buszewski

Nino Rota | Arrangement von William Ross ( *1948) „Thema“ aus dem Film „Amarcord“ (1973)

Nino Rota | Arrangement von William Ross Suite aus dem Film „La dolce vita“ (1960) Titoli Notturno Via Veneto Cavallino canzonetta – Shuffle (Swing) Parlami di me Notturno o mattutino La dolce vita

Programm

Carlo Innocenzi (1899–1962) | Arrangement von Klaus Dietrich Text von Marcella Rivi (1910–1981) „Addio, sogni di gloria“ Piotr Buszewski


Italien, das Land der Melodien

Wir beginnen daher auch mit dem Werk eines Nichtitalieners, Peter Iljitsch Tschaikow­ ski. Obwohl sein „Capriccio italien“ auf italienischen ­Melodien und Tänzen beruht und eine italie­nische Atmosphäre kreiert, stellt es dennoch nicht das Italien eines Das Neujahrskonzert 2021 steht unter dem Motto Italieners dar, sondern das ­„Italien“, „La dolce vita“. eines Reisenden. Wie kam dieses Programm Ein weiterer Fokus des Abends zustande? ist die Musik von Nino Rota. Rota war einer der bedeutendsRoland Kluttig Italien ist immer ten Filmkomponisten, hat uns schon das Sehnsuchtsland der als klassischer Komponist aber nördlichen Europäer gewesen. auch zahlreiche Solokonzerte, „Das Land, wo die Zitronen symphonisches Repertoire und blühn.“ Es war eines der ersten sogar Opern hinterlassen. Eine Länder, in das auch Künstler dieser Opern, „Der Florentiner aus nördlichen Ländern immer Hut“, steht in dieser ­Saison wieder gereist sind. Ich denke, noch auf dem Programm der unser Konzert zeigt Italien aus Oper Graz, worauf wir natürlich diesem – durchaus touristineugierig machen wollen. schen – Blickwinkel. Und jetzt, Außer­dem schrieb Nino Rota in Zeiten, in denen wir überhaupt nicht reisen können, steht auch die Musik zu den bekanntesten Meisterwerken Frederico unser Programm auch ganz generell für die Sehnsucht nach Fellinis – wie eben zum Film „La dolce vita“. dem Reisen, nach dem Süden!

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Roland Kluttig, der Dirigent des heutigen Abends, spricht mit Konzertdramaturgin Livia Krisch über „La dolce vita“, Reisen in den Süden und die einzigartige Stimmung in Nino Rotas Musik.

Interview

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Das Konzert stellt italie­ nische Canzoni neben Filmmusik, Opernausschnitte und symphonische Musik. Wie passen die Stücke zu­ einander? Roland Kluttig Ich finde, das Melodische ist auch die Klammer für alle Stücke, die wir präsentieren. Außerdem haben alle Werke, die wir ausgesucht haben, ein gewisses Augenzwinkern, eine Ironie. Nehmen wir doch Tschaikow­ skis „Capriccio italien“ als Beispiel: Nach der interessanten Eröffnung durch die Blechbläser und dieser wunderbaren, schwermütigen Streichermelodie wird die Musik plötzlich verhalten tänzerisch. Tschaikowski lässt hier zwei Oboen im Duett auf einer Basslinie tanzen. Ich muss dabei sofort an die Atmosphäre einer italienischen Kleinstadt denken, wo ein verliebtes Paar mit einem Gelato über die Piazza schlendert. Dieses kleine Oboenduett hätte auch Nino Rota für einen

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passen. Diese Verbindung, eine andere Form der Melodie sozusagen, finde ich einmalig.

Interview

Was verbindet dich mit ­Italien, mit seiner Musik? Roland Kluttig Für uns Musiker ist Italien natürlich das Land der Oper, von Verdi, Puccini und den Komponisten des Belcanto, Rossini, Donizetti und Bellini. Italienisch ist die Sprache, die gesungen wahrscheinlich am schönsten klingt. Und vor allem: Italienische Komponisten aller Epochen – von Claudio Monteverdi bis Salvatore Sciarrino – haben einen unvergleichlichen Sinn für Melodie! Ihre Musik ist nicht die Musik der Kontrapunktik, wie im deutschsprachigen Raum, oder die Musik der Farbe, wie in Frankreich, sondern jene der Melodik und der Sanglichkeit. Wie sich Sprache mit Musik verbindet, wie unendliche Melodiebögen gebaut werden und gleichsam die gesamte Musik zur Melodie wird, das finde ich in Italien einzigartig! Was mich privat auf jeder Ita­ lienreise besonders beeindruckt, ist die unvergleichliche Verbindung von Landschaft und Architektur. Dass Häuser, beispielsweise in der Toskana, so wundervoll in die Landschaft


Interview

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Fellini-Film komponieren können. Das Augenzwinkern, das die Filme von Fellini und die Musik von Rota auszeichnet, taucht hier bei Tschaikowski schon zum ersten Mal auf. Der polnische Tenor Piotr Buszewski singt drei italienische Canzoni. Was kann man sich unter „Canzoni“ vorstellen? Roland Kluttig Italienische Canzoni sind eine ganz spezielle und einzigartige Form in der Musik, die zwischen Klassik, Chanson, Schlager und Filmmusik liegt. Sänger, die wir alle kennen, wie Paolo Conte oder Lucio Dalla haben Canzoni komponiert und gesungen. Dallas Canzone „Caruso“ etwa ist eines meiner absoluten Lieblingslieder! Die Texte der Canzoni erzählen vom alltäglichen Leben in Italien – von alten Jugendträumen in „Addio, sogni di gloria“, von der Liebe in „Musica proibita“ oder von Sonne, Meer und Wein im Süden Italiens in „O paese d’ ’o sole“. Jules Demersseman ist der einzige wirklich unbekannte

Name dieses Konzertes. Was erwartet uns im „Duo brillant“ für Orchester, Soloflöte und Solooboe? Roland Kluttig Das „Duo brillant“ über Themen aus der Oper „Guillaume Tell“ von Rossini ist eine Art instrumentale Mini­ oper. Die beiden Solisten benehmen sich zueinander wie ein Liebespaar in einer Bel­cantoOper. Der zweite Teil des Abends ist Nino Rota gewidmet. Rota schrieb die Musik zu Filmklassikern wie „Der Pate“, „La dolce vita“ oder „Amarcord“, komponierte aber auch Opern, Symphonik und Kammermusik. Wie kann man seine Musik beschreiben? Was macht ihre Faszination aus? Roland Kluttig Bei Nino Rota ist für mich das Besondere, wie er Stimmungen einfängt und dabei zwischen einem italienischen und einem amerikanischen Einschlag changiert. Rotas Musik enthält auch sehr viel Jazzhaftes und schlägt damit eine Brücke zu jenen Italienern, die nach Amerika ausgewandert


Unser Konzert wird am Neujahrstag gesendet. Was ist für dich „La dolce vita“ in diesen so speziellen Zeiten, was möchtest du unserem Publikum für das neue Jahr mitgeben? Roland Kluttig Ich habe mich ganz besonders auf dieses Konzert gefreut, weil ich glaube, dass dieses Programm so rund ist, wie es einem nicht häufig ge-

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lingt. Besonders auch im Hinblick darauf, wie es uns gelungen ist, die verschiedenen Genres Filmmusik, Oper, symphonische Musik und Canzoni zu verbinden. Ich bin natürlich sehr traurig darüber, dass wir das Konzert nicht vor unserem Publikum im Saal spielen können, dass wir es jetzt nur streamen und im Rundfunk senden können. Für mich ist in diesem Fall „La dolce vita“ die Hoffnung darauf, dass es im Jahr 2021 auch wieder „dolce vita“ geben kann.

Interview

sind und dort großen Einfluss auf die amerikanische Kultur hatten. Das gilt besonders für die Musik zum Film „Der Pate“, aber auch für die Musik von Rotas Oper „Die Nacht eines Neurasthenikers“, in der der Jazzaspekt eine große Rolle spielt. Das Besondere an Rotas Melodien ist für mich aber vor allem, wie es ihm gelingt, im Thema einer Melodie eine ganze Welt einzuschließen. Ganz besonders trifft das auf das Thema aus dem Film „Der Pate“ zu. Diese Mischung aus Nostalgie und Sehnsucht, alles in einem Motiv – in einem Film, in dem es doch eigentlich um die Mafia geht –, das ist einzig­ artig!


Italienische Oper – vokal und instrumental

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Italienische Oper – vokal und instrumental „Geradezu bemerkenswert war seine Liebe für den italie­ nischen Koloraturgesang“, berichtet Hermann Laroche, Peter Iljitsch Tschaikowskis ehemaliger Studienkollege, in seinen ­„Erinnerungen an Peter Tschaikowski“. Diese lebenslange Liebe zu Italien und zu Komponisten wie Bellini und Rossini kann man im „Capriccio italien“ bestens nachempfinden. Tschaikowskis erste Skizzen zum Werk entstanden auf einer Italienreise im Winter 1879. In Rom erlebte der Komponist den Karneval, in Florenz hörte er typische Volkslieder, von denen er eines, aufbauend auf der Poesieform „stornello toscano“, in sein „Capriccio italien“ einbaute. Obwohl er persönlich gerade keine leichte Zeit durchlebte (eine gescheiterte Ehe und eine darauffolgende persönliche Krise), ist das „Capriccio“ voll tänzerischer Leichtigkeit und purer Freude. Zu Beginn erklingt eine Fanfare (die Tschaikowski in Rom offenbar regelmäßig aus einer nahen Kaserne hörte), später ist die Melodie des toskanischen Volksliedes „Das Mädchen mit den blonden Zöpfen“ erkennbar, in dem es heißt: „Babbo non vuole, mamma nemmeno, come faremo a fare all’amor.“ („Papa will es nicht, Mama auch nicht, wie sollen wir es nur anstellen, uns zu lieben.“) Beliebt war die italienische Oper auch in Frankreich. Im Umfeld der Pariser musikalischen Salons wurden in den 1830er Jahren Salon- und Opernphantasien populär. Diese Potpourris aus den schönsten Nummern einer (oder mehrerer) Opern waren zwar nicht immer von bester kompositorischer Qualität, erreichten aber große Beliebtheit in der neu entstehenden Pariser Konzertszene und trugen dazu bei, Opern, die damals einer kleinen, elitären Gruppe vorbehalten waren, einem größeren Publikum bekannt zu machen. Die Opernausschnitte folgten dabei nicht der Dramaturgie der jeweiligen Opern, sondern wurden rein auf musikalischen


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Effekt hin ausgesucht, „wozu beispielsweise gehören: ein fesselnder, zum Aufhorchen spannender Anfang, Virtuosenkraftstellen, anmutige italienische Melodien, reizende Zwischensätze und sanftere Ausruhplätze“, wie Robert Schumann beschrieb. Ein typischer Vertreter des Genres ist das „Duo brillant“ über Motive aus Gioachino Rossinis letzter Oper „Guillaume Tell“ (1829). Der Komponist Jules Demersseman, selbst am Pariser Conservatoire ausgebildet und als Flötenvirtuose erfolgreich, schrieb das Stück für einen Wettbewerb am Konservatorium – im Original für die von seinem Freund Adolphe Sax neu entwickelten Soloinstrumente Bass-Saxhorn und Tenor-Saxophon! Wie Demersseman – der den Wechsel auf die neu entwickelte Böhmflöte (erstmals mit Klappen und aus Metall) nicht mitmachen wollte – lebte auch Amilcare Ponchielli in einer Zeit des Überganges: von Verdis Opern hin zu Puccini und zum Verismo. Ponchielli, in einem Dörfchen nahe Mailand aufgewachsen und vom Vater ausgebildet, konnte das Mailänder Konservatorium nur durch die Unterstützung eines örtlichen Adeligen besuchen und blieb zeitlebens der ländlichen Musikszene verbunden (u. a. als Kirchenorganist und Leiter der Blaskapellen von Piacenza und Cremona). Die Uraufführung seiner Oper „La Gioconda“ in der Mailänder Scala wurde der zweite große Erfolg seiner Karriere und machte ihn, besonders durch die Balletteinlage „Tanz der Stunden“, bis heute berühmt. Die Oper, basierend auf Victor Hugos Drama „Angelo, Tyrann von Padua“ erzählt von Gioconda, die Enzo liebt, der sein Herz allerdings an die (verheiratete) Laura verloren hat. Es kommt, wie es in einer italienischen Oper ­kommen muss: Der Schuft Barnaba – selbst von Gioconda abgewiesen – orga­nisiert Lauras und Enzos Flucht, verrät sie aber gleichzeitig an Lauras Mann. Gioconda greift ein, rettet Laura und Enzo – und ersticht sich. „La Gioconda“ ist ein typisches Beispiel einer ­italienischen „Grand Opéra“, enthält aber auch neuartige Klangfarben und leidenschaftliche Ausbrüche, die in die Zukunft ­weisen.


Italienische Oper – vokal und instrumental

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Ponchielli war zudem als Lehrer am Mailänder Konservatorium bedeutend, wo Giacomo Puccini und Pietro Mascagni zu seinen Schülern zählten. Auch Mascagni, der Sohn eines Bäckers, war nur mit finanzieller Unterstützung nach Mailand gekommen und blieb mit einem einzigen Werk in Erinnerung: der Oper „Cavalleria rusticana“. Der Einakter, der 1888 für einen Wettbewerb entstand, basiert auf der veristischen Erzählung des Sizilianers Giovanni Verga und thematisiert den strengen Ehrenkodex der sizilianischen Bauern, der die Liebesgeschichte von Turiddu und der verheirateten Lola tragisch enden lässt. Das „Intermezzo“ aus der Oper bildet einen innigen Ruhepunkt im Geschehen, bevor es zur Katastrophe kommt, die von Turiddu verlassene Santuzza das Liebespaar an Lolas Ehemann Alfio verrät und dieser Turiddu ermordet. Mascagnis Oper spielt wiederum im dritten Teil des Films „Der Pate“ eine wichtige Rolle und schlägt so die Brücke zu Nino Rota. Livia Krisch


Gesänge von Liebe und Schmerz

Während die tragische Oper in Neapel seit 1737 im prächtigen Teatro San Carlo aufgeführt wird, sind Werke heiteren Zuschnitts Bühnen wie dem Teatro dei Fiorentini oder dem Teatro del Fondo vorbehalten. Diese Sonderform der Buffa zeichnet sich durch im neapolitanischen Dialekt vorzutragende Dialoge zwischen den Musikstücken aus, wodurch zwar vor Ort die Publikumswirksamkeit gesteigert, die überregionale Bekanntheit aber gerade des­ wegen verhindert wird. Sich am Tragischen und am Heiteren in einem einzigen Stück zu erfreuen, erlaubt die „canzone napole­ tana“, die große Gefühlstiefe in leicht fasslicher Melodik darbietet. Diese Verschränkung von Opern- und Volksnähe verbindet sich ab 1839 mit einem religiösen Moment, da es im Rahmen der ­„Festa di Piedigrotta“, die der Madonna von Piedigrotta gewidmet ist, auch einen Liederwettbewerb gibt, in dem die beste Canzone ausgezeichnet wird. Diese heiter-sinnliche „Festa di Piedigrotta“ bringt eine schier unüberschaubare Menge an Kompositionen ­hervor – bis zum Jahr 1889 sollen es bereits 3000 gewesen sein. 1982 wird das Fest eingestellt; Wiederbelebungsversuche seit 2007 wollen nicht recht fruchten. In der neapolitanischen Canzone besingt üblicherweise ein Mann in Serenadenform seine Liebe oder klagt darüber, dass seine Liebste davon nichts wissen mag. Internationale Bekanntheit erlangen diese Lieder durch italienische Opernsänger, die ihre Ausnahmestellung in der Publikumsgunst nutzen, um sie bei ihren Gastspielen als musikalischen Gruß aus der Heimat als Zugabe zum Besten zu geben. Diese weltweite Verbreitung der geschickt zwischen Kunst- und Volksmusik changierenden Gattung besorgen Startenöre wie der Neapolitaner Enrico Caruso, der aus Lecce stammende Tito Schipa und der Sizilianer Giuseppe Di Stefano.

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Gesänge von Liebe und Schmerz


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Über die Musik des Pianisten, Dirigenten und Komponisten Vincenzo D’Annibale schreibt einst die zeitgenössische Kritik: „Eine Canzone von D’Annibale erkennt man sofort, weil der Komponist in seinen Melodien vom ersten Takt an eine besondere Atmosphäre schafft – fast würde ich sagen, die Canzoni haben eine eigene musikalische Physiognomie. Schon in den kurzen Arpeggien der Einleitung klingt es ganz nach D’Annibale: volkstümlich und aristokratisch, inspiriert und unruhig, einfallsreich und bunt, begeistert und unzufrieden. Vor allem aber schlängelt sich durch seine Musik – wie der Lebenssaft in den Ästen eines Baumes – jene warme Melancholie, die das schönste Aroma der Kunst ist: Die latente Melancholie eines jeden Neapolitaners, der – obwohl er in seiner Heimat lebt – lebenslänglich die Traurigkeit der Verbannung im Herzen trägt.“ Welche Faszination die neapolitanische Canzone auf Komponisten ausübt, die weder aus Neapel stammen noch deren Bio­ graphie mit Neapel verknüpft ist, zeigt die „Musica proibita“, das weitaus bekannteste Werk des aus Turin stammenden Stanislao Gastaldon, der unter dem Pseudonym „Flick-Flack“ auch selbst den Text schreibt. Die „Musica proibita“ ist gleichsam ein Lied im Lied, denn eine junge Dame berichtet von ihrem Kavalier, welcher sie unter ihrem Balkon mit seinem Gesang erfreut, und den sie sich, sobald die Frau Mama das Haus verlassen hat, verbotenerweise in Erinnerung ruft. Wie auch Nino Roto, so ist der Name Carlo Innocenzi vornehmlich mit dem Film verbunden. Von 1933 bis zu seinem Tode im Jahre 1962 komponiert er mehr als 150 Filmmusiken, wobei er sich in seinen letzten Lebensjahren auf das Genre der sogenannten „Sandalenfilme“ spezialisiert. Gemeinsam mit seiner Ge­ mahlin Sonia Pearlswig, die unter dem Pseudonym „Marcella Rivi“ als Textdichterin fungiert, verfasst er aber auch Lieder. In „Addio, sogni di gloria“ besingt das lyrische Ich den schmerzlichen Abschied von den Jugendträumen, der mit dem Erwachsenwerden einhergeht. Bernd Krispin


Rota, der Filmmelodiker

1911 in eine Musikerfamilie hineingeboren, ist Nino Rota zeit seines Lebens ausschließlich Musiker: Ein erstes Oratorium ­komponiert er mit acht Jahren, mit zwölf dirigiert er es in Italien und Frankreich. Seine erste Oper schreibt er mit 14, und während der Studienzeit in den USA lernt er nicht nur die stilistische Band­ breite von Copland bis Gershwin kennen, sondern er wird auch mit dem Medium vertraut, das seine Karriere – neben seinen Symphonien, Instrumentalkonzerten und seiner Kammermusik, seinen Opern und Balletten, die er parallel zu seiner Unterrichtstätigkeit am Konservatorium von Bari schreibt – maßgeblich prägt: mit dem Film. Nur durch schieren Zufall lernt er den Filmregisseur, dessen poetische Bildwelten in symbiotischer Weise mit seiner Musik verschmolzen sind, kennen: Nino Rota wartet in Rom vor dem Gelände eines Filmstudios an einer Bushaltestelle. Da fragt ihn ein Regisseur, auf welchen Bus er denn warte, und Rota nennt die Nummer eines Busses, der hier nie hält. Der Regisseur will diesen Irrtum aufklären, als der Bus mit eben dieser Nummer angefahren kommt. Der Regisseur ist Federico Fellini, und bei­ nahe könnte die Surrealität dieser ersten Begegnung aus einem seiner Filme stammen. Bis zu seinem Tode im Jahre 1979 ist Nino Rota Fellinis exklusiver Filmkomponist, so beispielsweise in „La dolce vita“. Der römische Sensationsreporter Marcello ­Rubini, dargestellt von Marcello Mastroianni, ist den Geheim­ nissen der römischen High Society der fünfziger Jahre auf der Spur. Unvergessen ist die eruptive Sinnlichkeit, mit der Anita Ekberg durch die Fontana di Trevi schreitet. „Amarcord“ thema­ tisiert Fellinis Jugenderinne­rungen an seine Heimatstadt Rimini. Aber auch andere Regie­größen suchen die Zusammenarbeit mit Nino Rota, so Francis Ford Coppola im blutgetränkten Mafia-Epos „Der Pate“. Bernd Krispin

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Rota, der Filmmelodiker


Künstlerbiographien Neujahrskonzert 2021 – „La dolce vita“

Roland Kluttig / Musikalische Leitung Nach zehn Jahren als Generalmusikdirektor am Landes­ theater Coburg ist Roland Kluttig seit 2020/21 Chefdirigent an der Oper Graz. Der in Dresden ausgebildete Dirigent war von 2000–2004 Kapellmeister an der Stuttgarter Staatsoper. Operndirigate führten ihn nach Frankfurt, Leipzig, Nizza, an die Opéra National du Rhin, sowie im Konzert zu den großen

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deutschen Rundfunkorchestern in Frankfurt, München und Stuttgart, zum Phil­­ harmonia Orchestra London, zum Seoul Philharmonic und zum Konzerthaus­ orchester Berlin. An der Oper Graz leitet er 2020/21 die Premieren von „Die ­Passagierin“, „Die verkaufte Braut“ und „Der fliegende Holländer“, sowie die konzertante Aufführung von Jean Sibelius’ „Der Sturm“.

Piotr Buszewski / Tenor Der polnische Tenor studierte an der Juilliard School of Music in New York und an der Fryderyk-Chopin-Musikuniver­

Künstlerbiographien

sität in Warschau. 2018 gab er sein Debut an der New York City Opera, es folgten Engagements in Boston, mit dem Memphis Symphony Orchestra, sowie an der Cincinnati Opera. Die Oper Leipzig hat ihn als Nemorino („L’elisir d’amore“) verpflichtet; in Planung sind der Herzog in einer Neuproduktion von „Rigoletto“ an der Florida Grand Opera, Rinuccio („Gianni Schicchi“) an der San Diego Opera, sowie seine Debuts an der Metropolitan Opera New York und am Royal Opera House Covent Garden. An der Oper Graz ist er im Frühjahr 2021 als Fadinard in Nino Rotas Oper „Der Florentiner Hut“ zu erleben.


Vanessa Latzko / Flöte Vanessa Latzko studierte in Luxembourg, Köln und Saar­ brücken. Sie war Mitglied der Orchesterakademie des ­Schleswig-Holstein-Musikfestivals und Soloflötistin am Saarlän­dischen Staatstheater Saarbrücken. Seit 2005 ist sie Soloflötistin der Grazer Philharmoniker. Kammermusik-Konzerte spielte sie u. a. mit Markus Schirmer und Christian Altenburger.

Kamen Nikolov / Oboe Kamen Nikolov studierte in Sofia, an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien und am Royal College of Music in London. Engagements hatte er im Orchester der Vereinigten Bühnen Wien, im Radio-Sinfonie-Orchester Stutt­ gart des SWR, im Qatar Philharmonic Orchestra, im RSO Wien Nikolov Solooboist der Grazer Philharmoniker.

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und im WDR-Sinfonieorchester Köln. Seit 2010 ist Kamen

Grazer Philharmoniker Seit 1950 spielen die Grazer Philharmoniker Oper, Operette, Ballett und Musical, bestreiten Konzerte in der Oper Graz und sind regelmäßig im Musikverein für Steiermark zu hören. Gastspiele (wie in Wien, Brünn und Taiwan), CDs, Rundfunkund Fernsehübertragungen machen das Orchester überregional bekannt. Seit

Künstlerbiographien

2020/21 ist Roland Kluttig Chefdirigent der Grazer Philharmoniker.


Quellen Bernd Krispin („Gesänge von Liebe und Schmerz“ & „Rota, der Filmmelodiker“) und Livia Krisch („Italienische Oper – vokal und instrumental“) haben ihre Beiträge eigens für dieses virtuelle Programmheft verfasst. Livia Krisch hat sich zudem mit Roland Kluttig über „Italien, das Land der Melodien“ ausgetauscht. Bildnachweise Die Künstlerportraits wurden von Marco Borgreve (Roland Kluttig, S. 14), Kalina Kara (Kamen Nikolov, S. 15) und Oliver Wolf (Roland Kluttig, Cover) aufgenommen. Die übrigen Künstlerportraits sind privater Natur. Verlagsangaben Die Opernhaus Graz GmbH hat für das Neujahrskonzert 2021 das Aufführungsmaterial zu Vincenzo D’Annibales „O paese d’ ’o sole“ (von Kalmus Orchestra Library), Pietro Mascagnis „Intermezzo sinfonico“ (von Bote & Bock), Amilcare Ponchiellis „Tanz der Stunden“ (von Luck’s Music Library) und Peter Iljitsch Tschaikowskis „Capriccio italien“ (von Breitkopf & Härtel) käuflich erworben. | Die übrigen Aufführungsmaterialien wurden von der Casa Ricordi (Nino Rotas „La notte di un nevrastenico“), von der Edition Sofia (Christo Pavlovs Arrangement von Jules Demerssemans „Duo brillant“), von den Sikorski Musikverlagen (Nino Rotas „The Godfather“) und von der Universal Edition AG (Stanislao Gastaldons „Musica proibita“, Nino Rotas „Amarcord“ und „La dolce vita“) entlehnt. Streaming Produktion: Roland Renner/reziprok | Bildregie: Martin Steffens | Bildtechnik: Alois Trummer, Andreas Grininger | Kameras: Karin Hofmeister, Paul Pichler, Roland Renner, Stefan Schmid | Streaming: Johannes Trummer

Impressum Medieninhaber und Herausgeber Opernhaus Graz GmbH Geschäftsführende Intendantin Nora Schmid Saison 2020/21 Redaktion Livia Krisch, Bernd Krispin Gestaltungskonzept Perndl+Co Layout edsign Druck Steiermärkische Landesdruckerei GmbH


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